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Asmeroms Stühle und die Eigenarbeit

von Noah Erni

Asmerom macht Stühle, alle wollen sie, nur er darf sie nicht verkaufen. Doch wie kommt das? Dafür müssen wir seine Geschichte genauer betrachten:

Dieser Widerspruch gründet sich aber erst einmal woanders. Denn gerade Eigeninitiativen und Eigenarbeit sollen die Zukunft der Arbeit sein - so hören wir es jedenfalls oft in der Diskussion um Arbeit 2.0. Wenn die normale Arbeit mit der 40 Stunden Woche und den entsprechenden Normalarbeitsverträgen verschwindet, muss notwendigerweise etwas folgen. Mit dem Internet und den neuen Technologien in der Produktion ist nun genau diese Möglichkeit gegeben: wir können unsere Kreativität, unsere Ideen und unser Wissen selber umsetzen und unsere Produkte direkt verkaufen, ohne den Umweg über eine Festanstellung machen zu müssen. Damit das aber funktioniert müssen diese neuen Technologien allen zugänglich sein. So fordert unter anderem der Soziologe Dirk Helbing von der Politik, dass der Staat diese nötigen Infrastrukturen bereitstellt, um so für die digitale Zukunft bereit zu sein, quasi Hilfe zur Selbsthilfe leistet. Wie das gehen kann? Möglichkeiten dafür finden sich unter anderem in den Werkbereichen des Dynamos, die allen Personen offen stehen, sowie in den Räumen und Infrastrukturen die durch die Raumvermietung und die Raumbörse vermittelt werden.

In den verschiedenen Werkbereichen von Textil-, Metall- und Medienwerkstatt findet man ein umfangreiches Sortiment an Maschinen und Materialien, welche für privat Personen oder Mikrounternehmen in der Regel zu teuer wären. Dadurch kann der Künstler oder die Künstlerin alternativ die Schweissmaschinen in der Metallwerkstatt gebrauchen anstatt selber eine für das eigene Atelier erwerben zu müssen. Prototypen und Inneneinrichtungen können in Verbindung mit allen Werkbereichen kostengünstig entwickelt und umgesetzt werden. So nutz beispielsweise das kleine Architekturbüro den Lasercutter im Medienbereich um seine Modelle anzufertigen. Soweit die Idee der offenen Werkstatt.

Nun treffen alle, die sich an einem Donners- oder Freitag in der Metallwerkstatt aufhalten, dort stets auf einen jungen Mann im Blaumann. Bei diesem Mann handelt es sich um den 26-jährigen Asmerom, der ursprünglich aus Eritrea stammt. Vor neun Monaten hat Asmerom im Dynamo eine Praktikumsstelle angetreten, seit dem ist er jede Woche an zwei Tagen in der Metallwerkstatt, wo er hilft die Maschinen zu warten, das Gelände zu reinigen und die Besucher zu betreuen. Seit kurzem bietet er gelegentlich auch noch Workshops an.

Asmeroms Geschichte beginnt aber ganz woanders, nämlich in Barentu in Eritrea. Dort hat er während acht Jahren als Schweisser und Metallbauer gearbeitet und dadurch seinen Lebensunterhalt verdient. Eine formale Ausbildung, wie wir sie hier kennen, hat er jedoch nicht genossen, wie er erzählt. Stattdessen hat er, wie dies in Eritrea üblich ist, mit 15 Jahren bei einem Unternehmen in Barentu angefangen zu arbeiten. Mit der Arbeit und der Zeit kamen das Wissen und die Erfahrung von selbst. Heute vor etwas mehr als vier Jahren beschloss dann aber Asmerom, Eritrea zu verlassen, um vor den unerträglichen politischen Zuständen zu fliehen. Auf der klassischen Route, auf welcher täglich tausende Geflüchtete unterwegs sind, machte er sich auf den Weg nach Europa. Er reiste von Eritrea in den Sudan, dann durch Libyen bis zum Mittelmeer und von dort auf dem Seeweg nach Italien. In Italien angekommen führte ihn sein Weg dann weiter in die Schweiz, wo er schlussendlich in Zürich eine neue Heimat zu finden hoffte.

Die ersten zwei Jahre nach seiner Ankunft verbrachte Asmerom nun damit erst einmal die Sprache zu lernen und sich an die neue fremde Kultur zu gewöhnen. Sein Traum ist es, auch hier wieder als Metallbauer arbeiten zu können, wie er es in Eritrea tat. Doch schnell merkte er, dass der Weg zu diesem Ziel sich als ein schwieriger und mühsamer Prozess herausstellte. Ohne Ausbildung und mit mangelnden Sprachkenntnissen blieben seine Bewerbungen meist unbeantwortet und kam doch etwas zurück, so waren es immer nur Absagen.

Irgendwann stiess er dann aber auf den offenen Werkbereich des Dynamos. Er begann die Werkstätten zu besuchen, um das offene Angebot dort zu nützen und wieder einmal zu schweissen, wie er es sich in Eritrea gewohnt war. Dabei trifft er auf Gunar, den Leiter der Metallwerkstatt. Sie lernen sich kennen, Asmerom schildert ihm seine Situation und Gunar erkennt sein Potential. Da aber ein Betrieb, der geflüchtete Menschen einstellen will, zuerst ein Gesuch stellen muss, vergingen noch einmal ein paar Monate, bis alle bürokratischen Aufgaben geregelt waren. Doch dann endlich nach langer Wartezeit konnte Asmerom seine Praktikumsstelle im Dynamo antreten.

Seither arbeitet Asmerom im Bereich der Metallwerkstatt des Dynamos und schreibt nebenbei weiter Bewerbungen für Anstellungen und Ausbildungsplätze. Bisher konnte er auch dreimal schon bei Unternehmen vorbei schauen und sich anschliessend für die dortige Lehrstelle bewerben. Momentan wartet er noch auf eine Antwort.

Neben seiner normalen Tätigkeit im Dynamo fiel Asmerom aber vor allem durch ein Produkt auf: metallene Stühle und Bänke, die aus einem minimalistischen Gerüst und einer aus verschiedenen farbigen Schnüren gewobenen Sitzfläche bestehen. Es handelt sich dabei um Bänke und Stühle, wie sie in Eritrea gebaut werden, wie Asmerom erzählt. Wiederholt wurde er danach gefragt, ob er sie verkaufen könne - Eigenarbeit also ganz im Sinne von Arbeit 2.0, so dass jeder Ökonom ob der Bestätigung seiner Thesen vor Freude tanzen würde, könnten wir meinen. Nur ist es leider nicht ganz so einfach. Denn Asmeroms Status als aufgenommener Flüchtling erlaubt es ihm zwar zu arbeiten, wenn er eine Bewilligung erhält, seine Stühle auf eigene Faust verkaufen darf er jedoch nicht einfach so. Sondern er müsste eine Bewilligung als Selbstständig Erwerbender erhalten, was aber jedoch so umständlich wäre, dass es fraglich ist, ob sich das Ganze für Asmerom schlussendlich lohnen würde. Doch gerade die Vernetzung durch das Internet, die es ermöglicht, dass jeder seine Produkte, für die eine Nachfrage besteht, mit geringen Kosten anbieten könnte, würde für ihn eine potentielle Alternative zur traditionellen Erwerbsbeschäftigung darstellen.  

Asmeroms Beispiel ist jedoch kein Einzelfall, sondern typisch für den Wandel der Arbeitswelt durch die Digitalisierung und den gesetzlichen Rahmenbedingungen, die diesem Wandel hinter her hinken. So bewegen sich auch Angebote wie beispielsweise Airbnb oder Uber zur Zeit noch in einer rechtlichen Grauzone. Was jedoch den Fall Asmeroms von den anderen unterscheidet, ist dass hier nur eine bestimmte Bevölkerungsgruppe von den Vorteilen der Digitalisierung ausgeschlossen wird. Wir sollten uns daher die Frage stellen, wie eine moderne digitale Gesellschaft faire gesetzliche Rahmenbedingungen schaffen kann, damit sie für alle offen steht, egal welcher Herkunft und Abstammung er oder sie ist, um so die Einbindung und Beteiligung jedes Gesellschaftsmitglieds zu garantieren.

Aber was macht Asmerom in der Zwischenzeit? Dieser hat währenddessen eine andere Lösung gefunden um die Nachfrage nach seinen Stühlen zu befriedigen. Für alle die, die trotz allem einen seiner Stühle besitzen wollen, bietet er einen Workshop an. So können Interessierte vorbei kommen und er zeigt ihnen gleich selber, wie sie ihren eigenen, echten, eritreischen Stuhl zusammenschweissen und bespannen können. Wen also das Interesse gepackt hat und wer selber gerne einen solchen Stuhl bauen und besitzen möchte, der kann in den Werkbereichen des Dynamos sich nach Asmeroms Workshop erkunden.

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